Rede von Decolonize Marburg! zur Kundgebung gegen Rassismus am 06.06.2020

Unser Beitrag zur Kundgebung anlässlich der George-Floyd-Riots und den antirassistischen Kämpfen in den USA, in Frankreich und in der ganzen Welt hier zur Nachlese. Wir danken den Genoss*innen von Women Defend Rojava Marburg und der Gruppe dissident (IL) für die Unterstützung bei der Organisation der Kundgebung, an der insgesamt über 1500 Menschen teilnahmen.

Liebe Geschwister,
Liebe Unterstützer*innen,

heute demonstrieren wir, weil wir unserer Trauer und unserer Wut Ausdruck verleihen müssen. Wir demonstrieren, weil wir es nicht mehr aushalten. Wir demonstrieren, weil wir nicht mehr bereit sind die alltägliche Gewalt zu ertragen. Wir demonstrieren, weil wir für die Erniedrigung, Ausbeutung und Unterwerfung nicht mehr zur Verfügung stehen. Wir, Schwarze Menschen und People of Color, stehen zusammen nicht als Opfer sondern im Widerstand zu diesem System. Unsere Erfahrungen sind gemeinsame, unser Schmerz ist gemeinsam, unsere Wut ist gemeinsam, unser Widerstand ist gemeinsam!

Heute demonstrieren wir, weil wir genug haben vom alltäglichen tödlichen Rassismus. Am 25. Mai wollte in Minneapolis  ein Schwarzer Mann Einkäufe in einem Lebensmittelgeschäft bezahlen. Der Kassierer behauptet, dass der Geldschein gefälscht sei. Er ruft die Polizei. Wenige Zeit später ist George Floyd tot. Seine letzten Worte waren “I can’t breathe”, ein Ruf nach Hilfe. I can’t breathe! Doch die anderen Polizist*innen vor Ort unternahmen nichts; sie standen schützend vor dem Täter. Es war nicht der erste rassistische Mord des weißen Polizisten, ist es nur der Erste, der vollständig auf Kamera festgehalten wurde.  

Es sind diese Bilder, die auch uns zu Boden gedrückt haben. Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. In den USA gehen seit dem 26. Mai unzählige Menschen auf die Straße. Sie demonstrieren für grundlegende Menschenrechte, gegen Rassismus, und gegen den rassistischen Staat und ein System, dass uns ausbeutet, umbringt und wegwirft. Schwarze Menschen und People of Color in Deutschland und in ganz Europa schauen dabei nicht schweigsam zu. Wir sind solidarisch. Mehr noch: Überall auf der Welt nehmen Schwarze Menschen und People of Color die Proteste in den USA zum Anlass um ihre Wut sichtbar zumachen und nehmen sich die Straßen zum Kampf gegen rassistische Gewalt. So demonstrierten In Paris rund 20 000 Menschen und sprachen sich gemeinsam gegen die Ausbeutung, Diskriminierung und den Mord an Schwarzen Menschen und People of Color aus. Heute finden in vielen Städten Europas Demonstrationen und Kundgebungen wie die unsere statt, weil wir genug haben. Wir haben genug von diesem System der Ausbeutung, wir haben genug von diesem System, das Schwarze Menschen und People of Color, das Menschen am unteren Ende der Machtverhältnisse aubeutet und tötet.

Diese Verhältnisse, die uns erdrücken, haben viele Facetten. Neben George Floyd wurden auch Breanna Taylor,Tony McDade, Nina Pop und weitere Schwarzen Personen ermodert.  Leider fanden ihre Geschichten und ihre Namen keinen Erwähnung in den Medien. Warum? Breanna Taylor, war eine Schwarze cis Frau, Tony McDade ein Schwarzer trans* Mann, und Nina Pop eine Schwarze trans*Frau. Say their names! All Black Lives Matter! Auch wenn sie keine cis-Männer sind. No Pride For Some of Us Without Liberation For All of Us!

Dass gerade Polizeigewalt an Frauen, an cis und trans, sowie an queeren Menschen unsichtbar bleibt, ist kein Zufall. Sie sind an den Rand gedrängt, werden marginalisiert und diskriminiert; auch in ihren eigenen Communities. Homo- und Transfeindlichkeit sind reale Probleme innerhalb und außerhalb unserer Communities. Wir dürfen die Morde an unseren queeren Geschwistern nicht entnennen. Say their names! 

Eine soziale Bewegung, die die  Menschen, die an den Rand gedrängt sind, vergisst, hat keine Kraft.  Eine Bewegung die Gruppen systematisch ausschließt wird langfristig scheitern. 

All Black Lives Matter when Queer Black Lives Matter! 

Wir fordern, dass die Namen der Opfer dieses rassistischen Systems nicht vergessen werden und wollen ihre Erfahrungen, ihre Wut und ihren Schmerz für alle Menschen sichtbar machen. Seit Jahren gehen Bilder von den unzähligen Opfern rassistischer Polizeimorde durch die sozialen Medien. Und doch passiert nichts! Unsere Schwarzen Genoss*innen und Geschwister in den USA werden in gewöhnlichen Alltagssituationen ermordet: Beim Spaziergang, Einkauf, beim Auto- oder Fahrradfahren, auf dem Weg zur Arbeit, zur Kirche oder am Bahngleis, beim Musikspielen, Feiern oder auch bei der Lohnarbeit, sogar beim Schlafen. Über 1028 Schwarze Menschen wurden innerhalb eines Jahres von Polizist*innen ermordet. Der drohende Mord durch Polizeigewalt ist für viele Schwarze Menschen, insbesondere in den unteren Schichten, Alltag. Es sind die gleichen Menschen, die Fürsorgearbeit leisten, die für niedrigste Löhne ausgebeutet werden und für das Überleben auch während der Corona-Krise sorgen. Sie sind Pflegekräte, sie sind Erzieher*innen in den Kindestagesstätten, sie füllen die Regale in den Supermärkten. Sie sind es, die nach wie vor eine der am stärksten ausgebeuteten und von Gewalt und Diskriminierung betroffenen Gruppen im Land sind. Sind sind es, deren Namen wir nicht vergessen werden! 

Auch in Deutschland werden Schwarze Menschen, wir, unsere Genoss*innen und Geschwister, systematisch ausgebeutet, unsere und ihre Leben werden illegalisiert und unsere und ihre Lebenswelten prekarisiert. Auch in Deutschland ist Schwarzsein in der Gegenwart von Polizei tödlich. Wir gedenken heute Rooble Warsame, Christy Schwundeck, Yaya Jabbie, Dominique Koumaido, Oury Jalloh, Laye Konnte, John Amanda und allen anderen schwarzen Geschwistern, die durch deutsche Polizist*innen getötet wurden. Sie alle waren Menschen mit Wünschen, Hoffnungen und Träumen. Sie waren geliebte Kinder, Geschwister, Eltern, Freund*innen. Ihr Recht auf Leben, auf Lachen, Atmen, Zukunft wurde ihnen genommen. 

Wir vergessen euch nicht.
SAY THEIR NAMES!

Auch in Marburg ist Poizeigewalt Alltag. Man denke nur an die alltägliche rassistische Polizeipraxis, Schwarze Menschen und People of Color ohne erkennbaren Grund oder Anlass in der Öffentlichkeit zu kontrollieren und zu schikanieren. Die Lahntreppen, einer der wenigen Orte in denen Menschen sich ohne Konsumzwang aufhalten können, werden von der weißen Bevölkerung zum Angstraum erklärt. Sie sind Aufenthaltsort vieler Schwarzer Menschen und People of Color, die sich nicht leisten können, in Clubs und Cafés ihre Freizeit zu verbringen. Am 19.02. sind in Hanau Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Mercedes Kierpacz, Said Nesar Hashemi, Sedat Gürbüz und Vili Viorel Păun ermordet worden. In einer Shisha Bar! Unsere Rückzugsorte werden für uns zu Bedrohungsorten gemacht. Wir werden kontrolliert, festgehalten, schickaniert und getötet – fast jeden Tag. Schon vor dem Anschlag wurden Shisa Bars und weitere Orte des Rückzugs für Schwarze Menschen und People of Color von der Polizei rassistisch motivierten Razzien unterzogen. Diese Razzien, diese Schikane, sie schufen ein Klima der Angst. Die Hetzjagden, Morde und Gewaltverbrechen an uns und unseren Schwarzen und People of Color Geschwistern sind aber nur eine besonders gewaltvolle Form des alltäglichen Rassimus, dem wir systematisch ausgesetzt sind. Sie ist Ergebnis eines Systems, dass auf rassistischer Ausbeutung und Stigmatisierung aufgebaut ist. Es ist das selbe System, das das Mittelmeer zum Massengrab werden lässt: Sichtbar für alle. Wir sagen: No Border! No Nation! 

Darum versammeln und protestieren wir, Schwarze Menschen und People of Color, gemeinsam mit unseren Allies gegen diese alltägliche Gewalt, die sich durch alle Bereiche unseres Lebens zieht. Wir verlangen gehört zu werden. Wir verlangen eine lückenlose Aufarbeitung der NSU-Morde sowie aller weiteren rassistisch motivierten Toetungen. Wir verlangen die staatliche Umsetzung und Einhaltung der Menschenrechte. Wir verlangen ein Ende rassistischer Polizeigewalt! Wir fordern Bleiberecht für Alle! Wir fordern ein Ende des tödlichen rassistischen Grenzregimes! Wir fordern ein Ende unserer Ausbeutung, Tötung und Diskriminierung!

Refugees Welcome!
All Black Lives Matter!
Black Lives Matter!